Kernkraftwerkruine

Polen, September 2020

Nachdem sich Corona immer weiter abschwächte, ich mir jedoch auch keine Reise in ein fernes Land zutraute, beschloss ich, im Spätsommer eine Fahrradtour durch Polen zu machen. Die Route war relativ einfach geplant. Ich suchte zunächst eine günstige Zug/Busverbindung nach Gdynia bei Danzig, auf der ich mein Fahrrad mitnehmen konnte. Ich wollte zunächst unbedingt an die Ostsee. Im Anschluss habe ich einfach eine Linie Richtung Nürnberg gezogen und Nationalparks und Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke markiert.
Ich kam am Morgen in Gdynia an. Ich hatte im Vorraus auf Google Maps ein besonderes Bauwerk entdeckt und zwar eine Atomkraftwerkruine. Nach einer langen Fahrt durch die Pampa kam ich zunächst an einem Pumpfraktwerk vorbei.
Der Ort des Kernkraftwerks wurde strategisch gewählt, direkt am Zarnowieckie-See, dessen Wasser für die Kühlung verwendet werden sollte.
Von dem Atomkraftwerk hingegen stehen heute jedoch nur die Grundmauern.
Es sollte eigentlich in den 1970er Jahren Polens erstes Atomkraftwerk werden. Entgegen der Proteste der Bevölkerung wurde 1982 mit dem Bau begonnen. Jedoch erst nach der Tschernobylkatastrophe vier Jahre nach Baubeginn wurde der Protest größer. Nach mehreren Staßenblokaden und Hungerstreiks wurde im darauffolgenden Jahr ein Referendum durchgeführt, bei dem sich klare 86,1% der Bevölkerung gegen das Atomkraftwerk aussprachen. Die Regierung ignorierte jedoch das Ergebnis und baute munter weiter. Erst 1990 wurde das Projekt eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 40% des ersten Reaktors sowie die Nebengebäude fertiggestellt, jedoch bereits über 86% der finanziellen Mittel ausgeschöpft.
Nachdem bereits viel Geld in das Projekt geflossen ist, wurde versucht, durch Verkauf einiger Teile, wieder etwas zurück zu erwirtschaften. Was übrig war, wurde von der lokalen Bevölkerung geplündert.
Das Areal wird deshalb seither von Sicherheitspersonal überwacht. Auf dem Gelände verteilt stehen Wachtürme, von welchen man alles im Blick hat.
Langsam aber sicher holt sich die Natur die verlassenen Gebäude zurück. Ende 2022 hat die Polnische Regierung im Zuge der gestiegenen Energiepreise aufgrund des Ukraine-Krieges angekündigt, das Kraftwerk fertig bauen zu wollen. Ob jedoch bis zur 2033 geplanten Fertigstellung nicht die Fehler der Vegangenheit wiederholt werden, bezweifle ich stark.
Ich habe unterdessen das Kraftwerk hinter mir gelassen und mich aufgemacht, um den restlichen Nachmittag an der Ostsee zu verbringen. Bis zum nächsten Mal...

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