Moorwanderung, Yelnya Nationalpark

Belarus, August 2024

Die Moore in Osteuropa zählen mit einer Gesamtfläche von 280.000 km² zu den großen Kohlenstoffspeichern der Welt. Allein die Moore in Belarus speichern etwa 1,3 Milliarden Tonnen an Kohlenstoff.

Ein Großteil der Moore wurden zu Sowjetzeiten zwischen 1950 und 1980 drainiert. Anfangs des 20. Jahrhunderts waren noch 40% der Landesfläche Belarus von Feuchtgebieten bedeckt. Inzwischen sind es nur noch 4% (ca. 8600 km²). Teils kann man Rückschlüsse auf Moorgebiete durch Ortsnamen wie "Mjory" oder "More" ziehen.

Laut der Staatlichen Belarussischen Nachrichtenagentur (BelTA) wurden im ersten Halbjahr 2024 in Belarus bereits 1 Million Tonnen Torf abgebaut. Belarus baut etwa 2 bis 3 Mio Tonnen Torf jährlich ab. Der Großteil wird zur Torfverstromung und zum Heizen genutzt. Etwa 15% der in Belarus verbrauchten Primärenergie stammen aus dem Torfabbau.

Nachdem es seit den 0er Jahren vermehrt zu Moorbränden kam, gibt es ein verstärktes Bestreben, die verbliebenen Gebiete zu erhalten oder wieder zu vernässen.

Besonders ausgeprägte Feuchtgebiete gibt es im Süden des Landes um den Fluss Prypjat herum sowie im Nordosten an der Grenze zum Borealen Nadelwald. Eines der größten großteils unberührten Hochmoore in Belarus ist das Moor Yelnya (возера Ельна) im Norden des Landes in der Nähe der Kleinstadt Mjory (Мёры).

Das Feuchtgebiet Yelnya umfasst eine Fläche von insgesamt 253 km² und steht seit 1968 unter Schutz, es ist somit das älteste Naturschutzgebiet in Belarus.

Ausgangspunkt meiner Fahrt war die Handelsstadt Polazk (Полоцк) am Fluss Duna. Von dort aus fährt 3x täglich ein Zug ins 70 km entfernte Baroŭka (Бароўка). Der Bahnhof heißt Vyerkhnyadzvinsk (Верхнедвинск). Die Fahrt mit einer alten sowjetischen Diesellok dauert etwas über eine Stunde. Die Fahrradmitnahme im Zug war problemlos möglich. In den meisten Zügen in Belarus gubt es ein Fahrradabteil.

Vyerkhnyadzvinsk ist der vorletzte Halt vor der Lettischen Grenze. Seit dem Einmarsch Russlangs in die Ukraine verkehren keine internationalen Züge mehr ins benachbarte Lettland. Von Baroŭka aus sind es mit dem Fahrrad etwa 35 km nach Yelnya. Die Strecke verläuft großteils über eine relativ gut befahrbare Schotterpiste.

Kurz nach meiner Ankunft in Бароўка zogen am Himmel dunkle Wolken auf. Ich habe per SMS eine Warnung vor starken Unwettern bekommen. Innerhalb einer halben Stunde zog der Himmel komplett zu und es setzte immer stärker werdender Platzregen ein, dazu kam ein starker Wind. Am Ortsausgang von Uzmeny (Узмёны) entdeckte ich ein altes verlassenes Holzhaus. Obwohl es erst wenige Minuten regnete, war ich bereits klitschnass und so beschloss ich, mich unterzustellen und das Unwetter abzuwarten.

Das Haus war bereits seit einigen Jahren verlassen, der Garten war komplett überwuchert und ein Fenster fehlte. Draußen tobte das Unwetter. Es blitzte und donnerte bis spät in die Nacht. Laut Belarussischer Forstbehörde handelte es sich um das stärkste Unwetter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Noch zwei Wochen später, auf meiner Rückfahrt, erlebte ich, dass Straßen aufgrund der anhaltenden Aufräumarbeiten immer noch gesperrt waren.

Am Morgen hatten sich die dunklen Wolken verzogen. Ein dicker Hochnebel waberte über die Landschaft. Es war windstill und sehr ruhig, nicht mal die Vögel zwitscherten, nur ein leises Tropfen von den Blättern der Bäume durchbrach die Stille.

Die Morgensonne spitzte langsam zwischen dem Nebel hindurch und tauchte die Landschaft in ein warmes gelbliches Licht. Aus der Ferne höre ich eine Pferdekutsche, deren Umrisse ich nur grob im Nebel erahnen kann. Sie kommt näher. Sie ist hinten voll beladen mit frisch geschnittenem Gras. Vorne sitzt Ein älterer Herr mit Zügel in der einen Hand, einer Peitsche in der anderen Hand und einer Zigarette im Mund sitzt vorne auf der Kutsche. Er nickt mir im Vorbeifahren kurz zu, bevor er wieder im Nebel verschwindet.

Ich fahre weiter durch die dünn besiedelte Heidelandschaft. Ab und zu komme ich an Bauernhöfen vorbei, viele sind verlassen. Auf der gesamten Strecke kommt mir nur ein einziges Auto entgegen. Nach etwa zwei Stunden erreiche ich den Yelnya Nationalpark. Inzwischen hat sich der Nebel verzogen.

Am Wegrand stehen ein paar Hinweistafeln, die auf die vielfältige Flora und Fauna des Moors aufklären. Ein anfangs breiter und nach einiger Zeit immer schmaler und matschiger werdender Pfad schlängelt sich durch einen dichten Wald.

Nach etwa 20 Minuten lichtet sich der Wald. Am Boden wächst Torfmoos und glitzert in der Morgensonne. Ich erreiche einen Rastplatz. Hier gibt es überdachte Tische, eine Feuerstelle und man kann hier zelten. Wäre es am Vorabend nicht zu dem Unwetter gekommen, hätte ich hier übernachtet, um den Sonnenaufgang im Moor zu sehen.

Ein breiter Holzbohlensteg führt ins Moor. Teilweise steht der Weg unterwasser. Die Holzstämme, die den Weg bilden, liegen nur lose aufeinander.

Bei jedem Schritt schappt das Wasser unter den Füßen. Nicht nur einmal dreht sich ein Holzstamm unter mir weg und ich sacke ins nasse Moor ab.

Die Landschaft wirkt surreal. vereinzelt stehen kleine dürre Fichten wie ein totes Gerippe in der Landschaft. Ab und zu hat sich zwischendrinn eine kleine Moorbirke verirrt.

Überall summt und brummt es durch die vielen Insekten. Der Boden ist bedeckt mit rotem Torfmoos, dazwischen sprießt grünes steifblättriges Frauenhaarmoos empor, überwuchert wird das ganze von Binsen und wilden Moosbeeren.

Moosbeeren sind kleine kriechende Bodendecker mit kleinen dunkelgrünen Blättern. An ihnen wachsen etwa 1 cm große rote runde Früchte. Die rohen Früchte schmecken ein bisschen wie eine Mischung aus sehr saurem Apfel und Weintraube. Man sollte sie in größeren Mengen nur gekocht essen. Die Früchte haben einen hohen Pektingehalt, welches im Körper Schwermetalle wie Blei oder auch radioaktives Cäsium-137 binden und somit vor Strahlenschäden schützen kann.

Wenige Meter weiter finde ich eine fleschfressende Pflanze, einen Mittleren Sonnentau, eine von drei auch in Deutschland heimischen Sonnentau-Arten. In Deutschland gibt es nur noch einen bekannten natürlichen Standort dieser vom Aussterben bedrohten Pflanzenart. Die Blätter des Sonnentaus sind mit kleinen klebrigen Tentakeln überzogen, an welchen Insekten kleben bleiben. Die Blätter rollen sich dann langsam ein, wodurch immer mehr Tentakel das Insekt umschließen und es schließlich mit freigesetzten Enzymen zersetzen. Die Nährstoffe werden dann über die Blattoberfläche aufgenommen.

An einer etwas höher gelegenen Bulte wächst ein kleiner Strauch der Rosmarinheide. Die Blattform erinnert ein bisschen an Rosmarin, wären da nicht die kleinen rosa Blüten. Die Pflanze gehört zu den Heidekrautgewächsen und ist für Menschen giftig, bietet jedoch eine wichtige Nahrungsquelle für die Raupen einiger vom aussterben bedrohten Schmetterlingsarten.

Ebenfalls auf den Bulten wachsen weitere Heidekräuter wie die Besenheide, die mit ihren vielen kleinen rosa Blüten viele Insekten anzieht.

Vom Hauptweg zweigt nach rechts ein schmaler Bohlenweg ab.

Dieser führt zu einer kleinen Insel, die sich in einem flachen Moorsee befindet. Das Wasser ist klar und hat eine leicht dunklbraune Färbung. Die Bretter sind morsch aber begehbar. Die Insel wird zusammengehalten durch die Wurzeln der Fichten, der Boden besteht aus Torfmoos übersäht mit Binsen und Wollgras, direkt am Ufer wachsen vereinzelt ein paar Gangelsträucher.

Ein kleiner Steg führt ins Wasser. Auf der Insel mache ich Mittagspause. Ich mache ein paar Luftaufnahmen.

Inzwischen sind Drohnen für Zivilpersonen in Belarus verboten. Wer trotzdem Luftaufnahmen machen möchte, dem empfehle ich einen großen Heliumballon an einer Schnur in Kombination mit einer Insta30-Kamera zu verwenden. Der Transit durch Belarus mit einer Drohne im Gepäck ist weiterhin möglich, wenn das Reiseziel nicht in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) liegt, sprich wenn man z. B. zwischen Polen und Litauen, Estland oder Ukraine (falls das in Zukunft wieder möglich sein sollte) im Transit durch Belarus unterwegs ist. Genauere Infos sind unten in den Quellenangaben verlinkt.

Nach einer kurzen Mittagspause habe ich mich wieder auf den Weg gemacht. Der Hauptweg geht noch ein paar hundert Meter weiter ins moor, wird jedoch immer schlechter und morscher, bis man irgendwann nur noch im schlammigen Wasser läuft. Ich bin deshalb umgedreht und zurück zu meinem Fahrrad gelaufen. Zurück am Rastplatz ist mir ein Fischer mit einem Kanu entgegen gekommen. Er meinte zu mir, dass er das ganze Moor rein läuft, bis zum Yel'na See in der Mitte. Ich habe ihm etwas von meinem Proviant abgegeben und bin dann aufgebrochen in Richtung der Kleinstadt Mjory.

In Mjory gibt es einen Stadtpark mit Badestrand. Dort habe ich den restlichen Nachmittag verbracht. Am Abend bin ich mit dem Zug zurück nach Minsk gefahren. Jeweils von Freitag bis Sonntag fährt täglich ein Nachtzug direkt von Mjory nach Minsk. Dieser besteht aus nur einem einzigen Wagon aus Sowjetzeiten mit offenem Schlafabteil (Platzkartny). Dieser Zug ist öffters ausgebucht, deshalb empfehle ich, das Ticket rechtzeitig zu besorgen.

Quellen und weitere Infos:

https://rsis.ramsar.org/ris/1218
https://www.m-h-s.org/de/projekte/europa/moore-in-osteuropa/
https://deu.belta.by/economics/view/erste-million-tonnen-torf-in-belarus-in-diesem-jahr-gewonnen-66357-2024/
https://en.wikipedia.org/wiki/Swamps_of_Belarus
https://www.kfw-entwicklungsbank.de/PDF/Evaluierung/Ergebnisse-und-Publikationen/IKI-Evaluierungen/IKI_Belarus_Moore_2018_D.pdf
https://president.gov.by/ru/documents/ukaz-no-297-ot-25-sentyabrya-2023-g

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