Zentrales Lager und Produktionsstätte für Atombomben
Belarus, August 2024
1949 verabschiedete der Ministerrat der UDSSR die Resolution No. 863-327s/op für den Bau des ersten Komplexes für die industrielle Produktion und Lagerung von Atombomben. Dieser Komplex wurde auf dem Gelände des seit 1946 in Betrieb befindlichen Konstruktionsbüro-11 "KB-11" (später auch unter dem Namen Arzamas-16 bekannt) in der Nähe von Sarow im heutigen Russland errichtet. In den kommenden zwei Jahren wurde die "Fabrik No. 3" errichtet, welche ab der zweiten Jahreshälfte 1951 ihren Betrieb aufnahm. Die produzierten Atombomben vom Typ "RDS-1" ("РДС-1") wurden direkt auf dem Gelände der KB-11 in einem speziell errichteten betonverstärktem Unterwasser-Bunker gelagert. Die Bomben wurden auf dem Testgelände "Semipalatinsk" im heutigen Kasachstan getestet. Dazu habe ich hier einen Artikel geschrieben.
Da die Lagerkapazitäten beschränkt und die Lagerung gefährlich waren, wurde bereits 1951 mit dem Bau der ersten "Zentralen Nuklearwaffen-Lagereinheit" ("специализированных баз хранения ядерного оружия") oder Kurzform: (CBC) begonnen. In den CBCs wurden die vorproduzierten Komponenten für Atombomben geprüft und in Bunkern zusammengebaut und eingelagert.
Zusätzlich zu den Zentralen Nuklearwaffen-Lagereinheiten (CBCs) wurden auch Lager- und Versorgungseinheiten für einsatzbereite Munition errichtet. Diese bestanden aus einer "Militärischen Reperatur- und Technische Basis" (RTB), Bunkern und meistens einen Flugplatz für Langstreckenbomber. Die größte dieser Versorgungseinheiten befand sich in der Nähe der Polnischen Grenze und war unter dem Codenamen "Dalny" bekannt. Den Artikel darüber veröffentliche ich hier Mitte Oktober 2024.
Jede Zentrale Nuklearwaffen-Lagereinheit (CBC) war für die Versorgung mehrerer RTBs zuständig. Bereits 1954 waren die ersten vier RTBs und 1955 die ersten zwei CBCs betriebsbereit. Zum Zeitpunkt des Kollaps der UDSSR 1990 gab es über 20 CBCs. Die Bauweise war überall ähnlich.
An den zentralen Lagerbasen wurden sechs Arten von Nuklearwaffen zusammengebaut und aufbewahrt:
- Nukleare Munition der Luftstreitkräfte: Luftgestützte Bomben und Sprengköpfe von luftgestützten Marschflugkörpern
- Nukleare Munition der Raketentruppen und Artillerie der Bodentruppen: Sprengköpfe taktischer (TR) und operativ-taktischer Raketen (OTR), spezielle Artilleriegeschosse (SAV) – Artilleriegranaten und Mörserminen
- Nukleare Munition der Strategischen Raketentruppen: Sprengköpfe und Gefechtsblöcke von Raketen
- Nukleare Munition der Marine: Sprengköpfe und Gefechtsblöcke von seegestützten Raketen und Küstenraketensystemen, Sprengköpfe von Schiffsabwehr- und U-Boot-Abwehrraketen, Gefechtsladungen und Sprengköpfe von Torpedos und Raketen-Torpedos, Anker- und Grundminen, Granaten der Küstenartillerie, Wasserbomben und „tauchende“ Luftbomben
- Nukleare Munition der Luftabwehr: Sprengköpfe von Flugabwehr- und Raketenabwehrraketen
- Nukleare Munition der Pioniertruppen: Stationäre und tragbare Ingenieurminen
Die von mir besuchte CBC befindet sich im Süden vom heutigen Belarus in einem Wald etwa 26 km nordwestlich von Retschyza. Sie wurde in den 60er Jahren erbaut und bestand aus sechs weitläufig verteilten Bunkern. Das gesamte Areal ist mit Stacheldraht umgeben. 1992, ein Jahr nach der Unabhängigkeit Belarus wurde die CBC stillgelegt. Das Areal wurde weitgehend sich selbst überlassen. Nach dem Sturm im August 2024 waren viele Bäume in der Region umgeknickt und es war sehr mühsam, überhaupt dem Weg zu folgen.
Ich erreichte das Areal von Osten und so kam ich als erstes am Gelände des Bunkers Nr. 3 an. Jeder der sechs Bunker besitzt einen Stacheldrahtzaun und Verteidigungsanlagen. Das große Tor war verschlossen, aber das Fußgängertor stand offen.
Der Außenbereich besteht aus einer überdachten Entladerampe. Für den Transport schweren Geräts gab es Schienen auf dem Gelände. Das Dach ist halb eingestürzt und mit Kletterpflanzen überwuchert. Der Außenbereich wird für die Lagerung von leeren Gemüsekisten für die Landwirtschaft verwendet.
Der Bunker unterteilt sich grob in drei Bereiche: Die zwei Eingangsbereiche, zwei große Haupthallen, in denen die Arbeiten an den Atomsprengköpfen (BBCHs) durchgeführt wurden und sieben Lagerhallen für die sichere Aufbewahrung der Sprengköpfe. Ich habe aus dem Gedächtnisprotokoll einen groben Grundriss gezeichnet:
Die ca. 15 m hohe Eingangshalle befindet sich noch außerhalb des eigentlichen Bunkers. Sie besitzt einen Kran, welcher für bis zu 10 Tonnen ausgelegt ist.
Nach der Eingangshalle kommen drei schwere Schutztore. Sie sind jeweils ca. 1,8 m dick, aus Beton und mit Stahl ummantelt und waren dafür ausgelegt, einer Atomexplosion standzuhalten. Der Boden mit den Schienen unter den Toren konnte abgesenkt werden, um die Tore sicher verschließen zu können.
Die Schutztore wurden über einen Seilzug elektrisch betrieben. Im Falle eines totalen Stromausfalls konnten sie jedoch auch per Hand geöffnet werden.
Wir betreten nun die längliche Haupthalle des Bunkers Nr. 3. Hier wurden die Atombomben zusammengebaut und Wartungsarbeiten durchgeführt. Ein großer Schwerlastkran überspannt die Decke des Raums. Vereinzelt fliegen ein paar Fledermäuse durch den Raum. Je links und rechts befand sich eine Reihe an Natriumdampflampen. Die Schienen führen durch die Halle hindurch in den hinteren Bereich des Bunkers, in dem die Sprengsätze gelagert wurden.
Von der hinteren Haupthalle zweigen insgesamt 7 Lagerräume ab. An jeder Abzweigung ist ein großer Drehtisch in den Boden eingelassen, der das Rangieren der Wagen ermöglichte. Die Transportwägen waren für bis zu 10 Tonnen Zuladung ausgelegt.
das meiste wurde geplündert. Ein paar im Bunker liegengelassene Kartoffeln haben Triebe geschlagen.
Es gibt noch fünf weiter Bunker auf dem Gelände. Bunker Nr. 1 und 2 sollen in einem besseren Zustand sein. Auf dem Weg zum Bunker Nr. 2 komme ich einem Nebengebäude, einem ehemaligen Gebäude für Offiziere entgegen. Auch hier stehen nur noch die Grundmauern. Auf der Tür Steht "Аренда" (zu vermieten).
Im Gelände um die Bunker stehen Warnschilder: "Radioaktive Kontaminierung - Pilze- und Beerensammeln strengstens verboten - Kamerakontrolle!" Wir befinden uns etwa 90 km nördlich vom Kraftwerk Chernobyl, in dem es 1986 zum GAU kam. Hier regnete ein Teil des Fallouts nieder, die Strahlung ist jedoch heutzutage so gering, dass man sich hier gefahrlos aufhalten kann. Im einem der Bunker jedoch, in dem die Atombomben zusammengebaut wurden, war die Strahlung leicht erhöht.
Wir befinden uns nun am Bunker Nr. 2. Dieser erstreckt sich über drei Stockwerke: Die Eingänge befinden sich im Erdgeschoss. Ein Kran führt ins Obergeschoss, in dem es weitere Lagerräume gibt. Zusätzlich gibt es im hinteren Bereich Räume für Büros, Luftfilter und technisches Equipment. Der Keller steht teils unter Wasser, weshalb ich ihn nicht erkunden konnte.
Bunker Nr. 2 war durch die umgestürzten Bäume wesentlich schwerer zu erreichen, dafür befindet er sich in einem besseren Zustand. Wir betreten wieder die Eingangshalle. Hinter den Schutztoren kommt die Haupthalle, in der die Montage und Wartungsarbeiten stattfanden.
Zwei der Drehtische fehlen, Wasser tropft von der Decke und bildet Pfützen am Boden. Im Bunker ist es angenehm kühl. Die Wände im Bunker waren bis zu einer Höhe von 2 m Grün oder Gelb gestrichen. Von der Haupthalle zweigen wieder drei Lagerhallen ab. Eine rostige Metallleiter führt ins Obergeschoss, links zweigen zwei kleine Türen zu den Büroräumen und zum technischem Equipment ab.
Ich betrete eines der Büros. Die Decke und Wände glitzern von den Wassertropfen, die das Kondenswasser bildet. Es riecht leicht modrig. Ab und zu hört man es plätschern wie in einer Tropfsteinhöhle. Der Boden ist mit kleinkarierten Fließen belegt. Mitten im Raum steht ein alter Schreibtisch aus den 60er Jahren. Die Schubladen fehlen und vereinzelt liegen Dokumente herum.
Ich schaue mir die auf dem Boden verstreuten Dokumente genauer an. Auf einer Mappe steht "Charkiw - Rat für nationale Wirtschaft - Technische Dokumentation", darüber das Wappen der Sowjetunion. Die brisanten Dokumente, welche sich mit dem Aufbau der Atombomben beschäftigen wurden entweder entsorgt oder bereits geplündert. Zurückgelassen wurden Dokumente über die Lüftungsanlagen, Maschinenequipment und konventionelle Artillerie aus dem kalten Krieg.
Ich verlasse die Büros und gehe durch die zweite Tür ,die von der Haupthalle abzweigt. Parallel zur Haupthalle verläuft hier ein langer Koridor. An der Decke verlaufen Lüftungsrohre und eine Gasleitung. An den glatten nassen Wänden befinden sich alte Drehschalter aus Bakelit. links von mir befindet sich das Treppenhaus. Die Decke ist niedrig und ich muss aufpassen, dass ich mir nicht den Kopf stoße.
Im Keller steht etwa knöcheltief das Wasser. Überall im Raum verlaufen isolierte Rohre für die Heizung und Klimaanlage. Auf Betonpodesten stehen Pumpen und Schaltschränke. Dazwischen liegen quer im Raum verteilt mehrere morsche Holzkisten. Der Putz bröckelt von der Decke.
Die etwa 20 cm dicken Leitungen führen hoch ins Erdgeschoss. Dort befinden sich in einem Nebenraum große Kanister mit der Aufschrift "Luft" (Воздух).
Ich gehe nun ins Obergeschoss. Dort befinden sich weitere Lagerräume und der Hauptteil der Lüftungsanlage.
Ein Deckenkran ermöglichte den Transport der "Waren" zwischen den zwei Stockwerken. An den Wänden befinden sich Alarmglocken, ähnlich derer an einem Bahnübergang. Die Haupthalle im Obergeschoss ist etwa sieben Meter hoch, acht Meter breit und 40 Meter lang.
Parallel zur Haupthalle befindet sich die Lüftungsanlage. Die Lagerung der Bomben erforderte eine konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Hierzu gab es eine große zentrale Klimaanlage, Heizung und Luftentfeuchter. Die Anlage nimmt mehrere Räume ein.
Ein Labyrinth aus Rohren, Leitungen und Schächten zieht sich durch den gesamten Bunker, welcher dafür, dass der Ort schon so lange verlassen ist, relativ gut erhalten ist.
An der Wand rosten eine Reihe an 2 Meter hohen Schaltschränken vor sich hin. Hier befand sich das "Gehirn" Der Anlage. Über große schwarze Hebel und Drehschalter konnten die zahlreichen Pumpen, Ventilatoren und anderes technisches Äquipment zentral gesteuert werden.
Die Stromversorgung konnte im Falle eines Blackouts über Dieselgeneratoren sichergestellt werden. Diese wurden nach der Stilllegung demontiert. Abgeflexte Leitungen durchziehen den ehemaligen Generatorenraum.
Leere Sicherungskästen hängen an der Wand, die alten Sicherungen wurden bereits geplündert und manche Kabel von Kupferdieben herausgeschnitten.
Ich bitte jeden darum, der verlassene Orte besucht, diese respektvoll zu behandeln. Es handelt sich um ein Stück Zeitgeschichte, welches für die Nachwelt erhalten bleiben sollte. Es ist selten, dass man einen Ort, der so lange verlassen ist, in einem so gutem Zustand vorfindet. Dieser Bunkler befindet sich zum Glück recht abgelegen in einer dünn besiedelten Region und dazu noch in einer (ehemals) radioaktiven Sperrzone. Ich hoffe, er bleibt noch lange so erhalten.