Dalniy: Lager für Atomsprengköpfe und Militärflugplatz

Belarus, August 2024

Belarus war einer der Hauptaustragungspunkte des kalten Krieges. Während Polen ein eigenständiger Staat war, war Belarus vollständig in die UdSSR integriert. Insbesondere im Grenzgebiet im Westen des Landes gab es gut befestigte Verteidigungsanlagen. Hier befanden sich Abschussrampen für Mittelstreckenraketen, Abhöranlagen, Komandozentralen, große Treibstofflager sowie Versorgungseinheiten und Wartungsanlagen für Munition.

In westlichen Ländern setzte man für Nachschublieferungen an die Front auf Pull-Systeme, das heißt, Material und Munition wurden von den Truppen flexibel angefragt und geliefert. In der Sowjetunion operierte man hingegen nach einer zentralen Push-Strategie. Kontingente wurden zentral zugeteilt und im Voraus geliefert. Man befürchtet nämlich, dass im Falle eines Atomkrieges die Komunikationswege unterbrochen werden könnten. Das System war sehr robust und effektiv für durchschlagende Offensiven, manman konnte jedoch weniger flexibel reagieren und es benötigte viel Material, was auf lange Sicht zu Versorgungsengpässen führen konnte.

So wurden in der Sowjetuntion bis 1989 insgesamt 20 "Zentrale Nuklearwaffen-Lagereinheiten" ("специализированных баз хранения ядерного оружия") oder Kurzform: (CBC) gebaut. Diese unterlagen direkt dem Verteidigungsministerium. Jede von ihnen versorgte eine Handvoll an "Militärischen Reperatur- und Technischen Basen" (RTB). Diese besaßen neben Bunkern und Werkstätten meistens noch einen Flugplatz für Langstreckenbomber. Die größte dieser Technischen Basen befand sich in der Nähe der Polnischen Grenze und war unter dem Codenamen "Dalniy" bekannt. RTBs waren für die Wartung, Montage und Vorbereitung der Atombomben konzipiert. Jede RTB versorgte wiederum mehrere Lagereinheiten für Spezialkampfeinheiten (SCU), welche als letzte Instanz die Waffen an die Front auslieferten.

Die Basis 3653-I PNTB (Codename Dalniy) befindet sich in einem Wald ca. 10 km westlich der Kleinstadt Shchuchyn (Шчучын) entlang der Bahnlinie von Lida nach Grodna in Belarus. Einheimischen war es verboten, den Wald zu betreten. Mehrere Bunker durchziehen das Waldgebiet. Dalniy war eines der wichtigsten RTBs an der Westfront. Es war unter Anderem für die Versorgung der Lagereinheiten für Spezialkampfeinheiten (SCUs), wie dem "Object Specjalny 3001", 3002 und 3003 in Polen, über welche ich hier einen Artikel geschrieben habe, zuständig.

In Dalniy lagerten verschieden atomare und konventionelle Waffensysteme:

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren wurden Atomwaffen beim hastigen Abzug der Sowjetischen Truppen aus Polen und dem Baltikum hier her gebracht. Das Lager war dadurch komplett überfüllt. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR 1992 wurde die Basis vollständig aufgelöst und die Munition entfernt.

Zu dem Areal gehörte ein Militärflugplatz mit Bunkeranlagen. Die 2 Kilometer lange Landebahn ist heutzutage verlassen und wird zum Lagern von Strohballen verwendet.

Neben der Landebahn steht ein zweistöckiges Ziegelsteingebäude. Auf dem Dach befindet sich der ehemalige Tower von welchem aus der Flugplatz geleitet wurde. Das Gebäude ist bis auf den Rohbau zerstört.

Von oben hat man einen guten Ausblick über die flache Landschaft und die ehemalige Landebahn.

Auf der anderen Seite befanden sich versteckt im Wald diverse Bunkeranlagen und ein Treibstofflager. Hier lagerten Kampfjetzt, welche im Ernstfall Atombomben aufnehmen konnten.

Ich fahre weiter zum eigentlichen Areal "Dalny", welches knapp 8 km entfernt im Wald liegt. Der Weg ist großteils überwuchert und versteckte Ein-Mann-Bunker sicherten einst den Wald. Das Gebiet ist inzwischen in Privatbesitz. In den ehemaligen Bunkern lagern Kartoffeln und Gemüse. Teile des Areals sind an ein Sägewerk verpachtet. Die neuen Eigentümer suchen aktiv nach Investoren für eine sinnvolle Nachnutzung des Areals. Im Betonboden waren einst Schienen eingelassen, um die schweren Sprengköpfe zwischen dem Bahnhof, den Lagerhallen und der Wartungshalle transportieren zu können.

Ich komme an einem halb zerfallenen Ziegelgebäude vorbei, welches als Schießstand zwischengenutzt wurde. Die Fenster und Türen haben längst schon neue Eigentümer gefunden und Gras wächst auf dem ehemaligen Wellblechdach. Hier befand sich einst die zentrale Luftfilteranlage für das Areal.

Das Areal ist aufgeteilt in einen vorderen Bereich mit Werkstätten, Kasterne und Bürogebäuden sowie einen hinteren Bereich mit den Bunkern. Auf dem Weg in den hinteren Bereich steht am Wegrand eine Etwa 5 Meter hohe Hammer und Sichel Statue aus Beton, welche zu Sowjetzeiten rot bemahlt war. Heute ist die Farbe großteils abgeblättert und gibt den nackten Beton darunter preis, welcher sich langsam auflöst. Auch hier holt sich die Natur langsam zurück, was einst ihr gehörte.

Am Wegrand entdecke ich einen größeren Erdhügel, es handelt sich um den ersten der zwei droßen Bunker. Ich nähere mich dem Eingang. Kühle Luft strömt mir entgegen. Einst sicherten zwei massive Schiebetore den Bunker vor einem potentiellen Atomschlag. Diese sind wie die gesamte Inneneinrichtung längst Schrottsammlern zum Opfer gefallen.

Ich trete in einen großen etwa 12 Meter breiten, 20 Meter langen und 8 Meter hohen Raum. Im Inneren riecht es etwas modrig. Ich prüfe mein Dosimeter, die Strahlung im Bunker ist niedriger als draußen. Hier wurden nur fertige Atomsprengköpfe geagert und die dicken Betonwände schirmen zusätzlich noch von der kosmischen Strahlung ab. Überall wo sich einst Leitungen befanden, klaffen Löcher im Boden. Die Wände waren einst Grün und Blau gestrichen. Heute blättert der Putz herunter.

Seitlich zweigen auf beiden Seiten je drei große Kammern ab. Die Betonwände sind über einen Meter dick. An der Decke befinden sich Öffnungen für die Klimaanlage und Lüftung, denn die Lagerung der Atomwaffen erforte eine genaue Kontrolle der Temperatur und Luftfeuchtigkeit.

Leider gibt es in den Bunkern sonst nicht mehr viel zu sehen. Ich fahre zurück zum zentralen Platz der Anlage. Hier befanden sich drei wichtige Gebäude: Mittig eine große Kantine, zur Linken ein unscheinbares Ziegelhaus, das ehemalige Offiziersgebäude und zur Rechten mit vier Stockwerken das größte Gebäude der Anlage, die Kasserne für die Soldaten. Aus dem Dach des betonbaus wachsen bereits kleine Bäume.

Ich treten ein, im Inneren zeigt sich ein Bild der Zerstörung. Schrottsammler haben alles mitgenommen, was nicht niet und Nagel fest war. Von der Decke tropft das Wasser, der Dielenboden ist vollkommen morsch und von Moos bedeckt. Selbt Innenwände wurden abgetragen, um an die Leitungen und Kupferkabel ku kommen.

Ich trete wieder nach draußen und mache einen kurzen Abstecher zum Offiziershaus. Auch dieses ist komplett überwuchert und kaum noch als solches zu erkennen.

In der Kantine sieht es ähnlich aus. Vom ehemaligen Speisesaal stehen nur noch die Grundmauern, der Raum war einst mit hellblauen Fließen verkleidet und besaß einen großen schwarzen Ofen mit einer ausladenden sitzband im Eingangsbereich.

Ich verlasse das Areal und mache mich auf auf einer Schotterstraße durch kleine Ortschaften zu einem nahegelegenen See für meine Mittagspause. Die Dörfer sehen so aus, als sei die Zeit hier in den 60er Jahren stehen geblieben.

Ich erreiche den Tschetvertinski Palast. Der Familienpalast der Fürstenfamilie Tschetvertinski wurde 1908 erbaut. Ein majestätisches zweistöckiges Gebäude mit Dachboden im Jugendstil. Er befindet sich inmitten eines Terrassenparks.

Der Palast ist dafür bekannt, dass hier die Hauptszenen des ersten belarussischen Horrorfilms "Masakras" gedreht wurden. Leider wurde bei den Dreharbeiten schlecht mit dem historischen Gebäude umgegangen: Die Fassade des Gebudes wurden mit Brandspuren bemalt und im Gebäudeinneren wurde viel Müll hinterlassen, welcher erst die letzten Jahren von den jetzigen Besitzern ausgeräumt wurde.

Ich mache mich auf den Rückweg zum Bahnhof, an dem ich am Morgen startete. Auf dem Rückweg komme ich noch an einem Messpunkt des Struve-Bogens vorbei. Der Struve-Bogen ist eine Kette von Messpunkten, deren Spitzen Holztürme waren. Der Bogen beginnt in Norwegen und endet über 2820 km entfernt in der Ukraine und durchquert das Territorium von zehn Ländern. Der Bogen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, um genaue Karten der Gegend zu erstellen und zu beweisen, dass die Erde keine Kugel, sondern ein Ellipsoid ist. Der Bogen wurde nach dem Projektleiter, dem Astronomen Friedrich Georg Wilhelm Struve, benannt und wurde vor ein paar Jahren in die Liste des UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen. Mit Hilfe der Messpunkte führten Vermessungsingenieure im 19. Jahrhundert Winkelmessungen durch, dank derer sie die Abmessungen der Erde berechneten und bewiesen, dass sie nicht exakt Kugelförmig, sondern durch die Zentrifugalkraft der Erdrotation die Form eines Ellipsoids hat. Für das 19. Jahrhundert war es ein unglaublich fortschrittliches Instrument. Von jedem Messpunkt aus waren mindestens vier weitere zu sehen.

Quellen und weitere Infos:

https://meridian28-com.translate.goog/report/aerodrom_schuchin.html
https://meridian28.com/report/garnizon_dalny.html
https://meridian28-com.translate.goog/report/zheludok.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Struve-Bogen


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